"Kunsteisbahn: Entweder hier oder gar nicht"

Interview mit Staatsministerin Michaela Kaniber zum geplanten Wiederaufbau der Kunsteisbahn am Königssee

06.11.2021 | Kilian Pfeiffer / Reichenhaller Tagblatt | Schönau am Königssee
Michaela Kaniber mit Ministerpräsident Markus Söder, Innenminister Joachim Herrmann und Bundesfinanzminister Olaf Scholz an der zerstörten Eisbahn.
Michaela Kaniber mit Ministerpräsident Markus Söder, Innenminister Joachim Herrmann und Bundesfinanzminister Olaf Scholz an der zerstörten Eisbahn.

Michaela Kaniber, Bayerische Landwirtschaftsministerin und Stimmkreisabgeordnete im Berchtesgadener Land, war nach der Zerstörung eine der ersten Politikerinnen an der Kunsteisbahn am Königssee. Sie plädierte von Anfang an für einen Wiederaufbau, sagt, die Zusagen aus der Politik seien keine Schnellschüsse gewesen. Risiken des Klimawandels könnten künftig durch einen "bundesweiten Katastrophen-Fonds auf breitere Schultern" verteilt werden. Ein Leben ohne Eisarena? "Das würde dem ganzen Landkreis schaden."

 

1. Frau Ministerin, auf der zerstörten Kunsteisbahn in Ihrem Stimmkreis finden in den kommenden Jahren keine Sportwettbewerbe statt. Wie wichtig ist die Bahn für den Sport, für Schönau am Königssee, für die Außenwahrnehmung? 
 
In wenigen Wochen hätte der Bob- und Skeleton-Weltcup und Anfang Januar der Rennrodel-Weltcup am Königssee Station gemacht. Die Sportwelt, der Sportjournalismus und Millionen von Sportbegeisterten hätten über die Medien nach Schönau und aufs Berchtesgadener Land geblickt. Jeden Winter wurden Dank der Eisarena wundervolle Bilder von unserer Heimat ins ganze Land, in die ganze Welt gesendet. Das ist für die Wahrnehmung unserer vom Tourismus geprägten Region eine unbezahlbare Werbung. Die Sportwettbewerbe wirken sich nicht nur unmittelbar durch anreisende Mannschaften und Zuschauer auf unsere Übernachtungszahlen aus, sondern eben auch durch die Werbewirkung für eine traumhafte Wintersport-Destination.
 
Aber natürlich dürfen wir auch nicht vergessen, dass die Kunsteisbahn für die Ausübung dieses spannenden und fairen Sports und für die Sportförderung im Bob- und Schlittensport eine enorme Bedeutung hat. Sie ist eine wahre Kaderschmiede des Bob- und Schlittensports, um die uns viele Nationen beneiden. Für die Sportler aus unserer Heimat tut es mir nach wie vor besonders leid. Für die Vorbereitung der bald stattfindenden Winterolympiade ist die fehlende Bahn ein herber Rückschlag. 
 
2. Häufig wurde der Tourismus im Hinblick auf die Kunsteisbahn angeführt: Die Region lebt von Touristen. Lässt sich das auch in Zahlen ausdrücken? Wie viele Übernachtungen wurden in der Vergangenheit mithilfe der Bob- und Rodelbahn generiert?
 
Im südlichen Landkreis hatten wir im letzten Jahr 2,3 Millionen Übernachtungen. Bei der Bedeutung der Rodelbahn darf man nicht nur auf die reinen Wettkampftage blicken. Die Bahn ist von der Öffnung bis zur Schließung den ganzen Winter über ausgebucht, zum Beispiel für Trainings. Im Sommer finden immer wieder Rodelbahnführungen statt. Daran sieht man, dass die Bahn selbst für Sommergäste ein Publikumsmagnet ist. Ohne die Eisarena hätten wir deutliche Rückgänge bei den Übernachtungszahlen, davon sind auch die örtlich Verantwortlichen überzeugt. Das würde dem ganzen Landkreis schaden.
 
3. Bob, Rodeln und Skeleton sind Randsportarten, die der Normalbürger so nicht betreiben kann. Würden Sie dem zustimmen?
 
Die Begeisterung für Sport hängt nicht immer davon ab, ob jeder Einzelne ihn auch selber betreibt. Wenn wir uns erinnern, wieviele Menschen mit Boris Becker und Steffi Graf begeistert vor den Fernsehern mitgefiebert haben, als Tennis noch kein Massensport war. Oder wieviele die Siege von Bernhard Langer im Golfen verfolgt haben. Wir sehen gebannt an den Bildschirmen zu, wenn Ironman-Rekorde auf Hawaii aufgestellt werden. Dabei behaupte ich, dass nur ganz wenige von uns schon mal einen Ironman mitgemacht haben, ich jedenfalls nicht.
 
Im Wintersport sind Bob- und Schlittenwettbewerbe feste Größen, die von vielen Zuschauern live und in den Medien verfolgt werden. Sie gehören genau so zu den sportlichen Höhepunkten des Winters wie die Vierschanzentournee beim Skispringen.
 
4. In der Bevölkerung herrscht Uneinigkeit, ob man dafür so viel Geld in die Hand nehmen soll oder es nicht besser investiert werden könnte. Wie sehen Sie das?
 
Auf die Bedeutung der Eisarena für die unmittelbaren Übernachtungszahlen und als Werbeträger für das Berchtesgadener Land bin ich schon eingegangen. Insofern hat der Wiederaufbau ein offensichtliche wirtschaftliche Bedeutung für unserer Region. Ohne der Eisarena sind wir als Wintertourismusziel ein Stück weniger attraktiv und austauschbarer.
 
Der Spitzensport hat außerdem eine enorm positive Ausstrahlung besonders auf junge Menschen, aber auch auf die anderen Generationen. Er begeistert uns und motiviert uns zu mehr Bewegung und Aktivität. Die positive Wirkung auf die allgemeine Gesundheit ist anerkannt. Sport gehört ebenso wie Kunst zu einem wertvollen Leben dazu. Würden wir Sport und Kunst nur dann finanzieren, wenn Geld übrig ist, gäbe es beide schon nicht mehr. Unser Leben wäre ärmer.
 
5. Von Seiten der Politik kamen ziemlich flott großmundige Ankündigungen, die Bahn würde wiederaufgebaut werden, auch aus Ihren Parteireihen. War das nicht etwas voreilig?
 
Nein, sicher nicht. Wenige Stunden nach dem verheerenden Unwetter im Juli waren der Bayerische Ministerpräsident, der Bayerische Sportminister und der wahrscheinlich nächste Bundeskanzler Olaf Scholz mit mir an der Kunsteisbahn. Und alle haben Hilfe signalisiert. Diese Wintersporteinrichtung hat zusammen mit Oberhof in Thüringen nationale Bedeutung. Ohne diese Einrichtungen würde sich Deutschland aus Sportarten verabschieden, in denen wir seit Jahrzehnten Weltspitze sind, besonders unsere bayerischen Sportler.
 
6. Das Ministerium hat nun Gelder aus dem Aufbauhilfefonds zugesprochen. Allerdings ist der Betrag für Planung und Wiedererrichtung mit 53,5 Millionen Euro gedeckelt. Niemand weiß, ob das ausreichen wird, denn eine Planung gibt es bislang nicht. Ein Schnellschuss?
 
Wir sollten sehr dankbar sein, dass der Freistaat Bayern so schnell Hilfen nicht nur zugesagt, sondern konkret auf den Weg gebracht hat. Auch Finanzminister Olaf Scholz hat nach dem Unwetter Unterstützung zugesagt. Das schafft für die weiteren Schritte eine gewisse Sicherheit. Alles weitere braucht jetzt in der Tat Planung und Kalkulation.

7. Können Sie nachvollziehen, dass sich der Landkreis beim Wiederaufbau finanziell in keiner Weise beteiligen möchte?
 
Gemeinsam mit Landrat Bernhard Kern haben wir erreicht, dass die Wiederherstellung der Kunsteisbahn aus dem Fonds „Aufbauhilfe 2021“ finanziert werden kann. Wir haben dazu auch Gespräche mit dem Bayerischen Innenminister Joachim Herrmann, mit der Bauministerin Kerstin Schreyer und mit Staatssekretär Stephan Mayer aus dem Bundesinnenministerium geführt. Die Kollegin Schreyer hat Mitte Oktober mitgeteilt, dass 53,5 Millionen Euro aus dem Fonds eingeplant sind. Der Kreistag ist damit einverstanden, dass für den Wiederaufbau eine Planung einschließlich Objektschutz gegen Georisiken in Auftrag gegeben wird. Der Landkreis wird umgehend die entsprechenden Vergabeverfahren einleiten. Das finde ich insgesamt bisher alles sehr ermutigend.
 
8. Im Kreistag gab es Stimmen, die den fehlenden Versicherungsschutz gegen Elementargefahren anprangerten. Es fand sich in der Vergangenheit keine Versicherung, die die Sportstätte versichern wollte. Steht die Bahn einfach am falschen Ort?
 
Eine Eisbahn kann ebenso wenig wie eine Skiabfahrtsstrecke in die norddeutsche Tiefebene verlegt werden, nur damit sie weit von Bergen und Hängen entfernt sind. Und selbst dort sind sie, wie das Elbe-Hochwasser zeigte, vor Überschwemmungen nicht sicher. Ich fürchte, dass wir künftig durch den Klimawandel immer öfter mit Schadensereignissen der verschiedensten Art rechnen müssen. Wir können nicht ganze Landstriche absiedeln und leer räumen. Die Menschen wollen ihre Heimat nicht verlieren. 
 
Wir müssen aber über den bestmöglichen baulichen und technischen Schutz reden. Deshalb wird der Objektschutz konkret mit eingeplant. Und ich bin davon überzeugt, dass die Politik in Deutschland sich Gedanken machen muss, wie wir künftig bestimmte Risiken des Klimawandels zum Beispiel durch einen bundesweiten Katastrophen-Fonds auf breitere Schultern verteilen.
 
9. Beim Landesamt für Umwelt existieren Aufzeichnungen, die deutliche Georisiken aufzeigen. Wird das von der Politik ignoriert?
 
Die Aufzeichnungen selber liegen mir nicht vor. Aber keiner ignoriert irgendwelche Risiken. Der Juli hat jedem gezeigt, was Naturgewalten anrichten können. Und wenn wir so viel Geld investieren, wollen wir maximalen Schutz gegen künftige Gefahren. Aber genau deswegen werden in die Planungen auch der Objektschutz gegen Georisiken einbezogen. 
 
Wie mir das Umweltministerium, dem das Landesamt für Umwelt (LfU) unterstellt ist, mitgeteilt hat, „ist die Zerstörung der Kunsteisbahn nicht durch die Aktivierung eines dokumentierten Georisikos erfolgt, sondern durch Wildbachtätigkeit aufgrund starker Regenfälle. Regenfälle sind nicht zu den Georisiken zu zählen – im Gegensatz zu aus Massenbewegungen resultierenden Gefahren, wie Steinschlag oder Felssturz.“ Die Gefahrenhinweiskarten des LfU, aus denen sich mögliche Konfliktbereiche zwischen Gefahr und Nutzung ableiten lassen, können in die kommunale Bauleitplanung einfließen, so das Umweltministerium. So sind sie auch eine wertvolle Hilfe für die Frage des Wiederaufbaus der Kunsteisbahn.
 
10. Gibt es für Sie einen Punkt, an dem Sie sagen würden: Der Wiederaufbau ergibt keinen Sinn?
 
Das ist für mich heute schwer vorstellbar. Als Stimmkreisabgeordnete ist es mein oberstes Anliegen, das Beste für die Menschen hier und für meine Heimat herauszuholen. Ich bin von der Bedeutung der Eisarena für unsere Tourismusregion und für den Sport absolut überzeugt. Wenn die Bahn hier nicht gebaut wird, wird sie auch nicht woanders gebaut. Verlierer wären das Berchtesgadener Land als Tourismusregion, der Bob- und Schlittensport und die Sportbegeisterten.